Zweiter Blogeintrag. Quasimodogeniti.
Es war ein schöner Frühlingsmorgen.
In allen Büschen sangen die Vögel, Blätter und Gras wuchsen und kleine Tiere flogen und krabbelten und arbeiteten überall herum. Die ganze Luft war von einem schwach surrenden Geraschel erfüllt, singendes Sausen von all dem Leben, das nach dem Winter erwacht war. Der alte Pettersen stand im Gemüsegarten und schaute sich um und prüfte die Erde.“ (Sven Nordqvist: Petterson und Findus. Aufruhr im Gemüsebeet)
Eine idyllische Vorstellung, aber eine Vorstellung, die wohl in baldiger Zukunft zur bloßen Vorstellung werden wird.
Man hat wissenschaftlich untersucht, in einer Langzeitstudie, wie sich die Anzahl der Insekten in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Lustigerweise hat man das gemacht, indem man die Anzahl der toten Insekten auf Windschutzscheiben von Autos gezählt hat. Ich hab nicht mehr im Kopf, welche Uni das gemacht hat und auch nicht mehr, wo ich das gelesen habe, das möge jede*r selbst recherchieren bei Interesse. Wer jetzt jedenfalls vor dem inneren Auge die Windschutzscheibe im Sommer hat, wird vielleicht ins Grübeln kommen. Da hat sich schon was verändert:
„Zwischen 1987 und 2017 hat die Insektenbevölkerung in Deutschland um 75% abgenommen – heute ist nur noch ein Viertel der Insekten von vor dreißig Jahren unter- wegs. Irgendwann werden wir in einem ‚Stummen Frühling‘ (Rachel Carsons warnte davor bereits 1962) aufwachen und klagen.“
So schreibt Ursula Baatz in der Jännerausgabe des Brennstoff.
Wir sind gerade in einer Krise, so erleben wir uns. Ein Virus hat so ziemlich alles lahm gelegt, wir haben auf Krisenmodus geschaltet. Eine Regierungspartei schmeißt sogar ihre beinah religiös überhöhte Ideologie des Nulldefizits über den Haufen und zieht die Spendierhosen an. Das will schon was heißen.
Für unsere Umwelt ist das ein Durchatmen. Man hört von Schwänen, die auf Venedigs Kanälen unterwegs sind, die jetzt so sauber sind, dass man bis auf den Grund sehen kann. Man hört von Delfinen in italienischen Häfen, von klarer Sicht in chinesischen Großstädten…
Unsere globale Coronakrise ist aus einer anderen Perspektive eigentlich gar keine so große Sache. Nur wir machen eine ganz arg große Sache daraus, die noch einen gehörigen Rattenschwanz wird mit sich bringen können.
Und warum? Weil wir die Auswirkungen vor unseren Augen sehen, wir sind viel unmittelbarer damit konfrontiert, in unserem Alltag. Ich will das auch gar nicht klein reden.
Aber eine andere, hausgemachte Krise, ist in Wirklichkeit noch viel existentieller und viel schwieriger zu lösen. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum hier viel weniger effizient und schnell gehandelt wird, so ein bisschen Vogel-Strauss Taktik. Und sie betrifft uns hier noch nicht so unmittelbar.
Was bedeutet es, dass nur mehr ein viertel so viele Insekten unterwegs sind, wie noch 1987 - mein Geburtsjahr? Dass z.B. Vögel viel weniger zu fressen finden. Laut UNO Bericht sind 57% der Vogelpopulation verschwunden. Die warme Jahreszeit ist so trocken geworden bei uns, dass der Borkenkäfer ganze Wälder zerstört - was auch was Gutes haben kann, wie man am Nationalpark Bayerischer Wald sieht -, oder dass viel mehr und verheerendere Fächenbrände gibt, weil kein Regen mithilft.
Ursula Baatz schreibt in ihrem Artikel über den Propheten Jeremia. Er hat sein Volk angeklagt, hat sie gewarnt, was passieren würde, wenn sie nicht umkehren und weitermachen mit ihrem Götzendienst. Das Volk hört nicht und rennt in die Katastrophe: 587 v.Chr. erobert Nebukadnezar für Babylon Jerusalem und schleift es.
Wer sind heute die Prophetinnen und Propheten, die uns warnen? Bereits in den 70ern haben Wissenschafter dem damaligen Präsidenten der USA, Jimmy Carter, einen Bericht vorgelegt, der genau vorhersagt, was jetzt passiert. Geändert hat sich nichts, bis jetzt.
Schon seit längerem muss ich darüber nachdenken, und der Artikel hat diese Frage jetzt wieder neu bei mir entfacht: Was tun wir? Als Einzelpersonen, als Christinnen und Christen, als Gemeinde Jesu?
Wir reden darüber, wie wir die Kirche füllen können; wie wir zeitgemäße, lebendige Gottesdienste feiern können; einladend sind; missionarisch verkündigen… zu welchem Zweck? Um den Menschen Jesus nahe zu bringen. Ist das genug? Reicht es, von der Liebe Gottes zu seinen Menschenkindern zu erzählen, von seiner Gnade und Vergebung und dass bei Gott schon alles gut werde? Und gleichzeitig sieht die Welt so aus? Müssen wir nicht auf eine Weise prophetischer werden?
Meine liebe Kollegin aus Schwechat, Alexandra Battenberg, hat neulich einen guten Gedanken geteilt: wir sind als Kirche nicht systemrelevant genug. Das klingt zunächst einmal nicht schön, weil das heißt ja auch, dass wir uns nur schwer positiv in diese Krise einbringen können. Aber dann darf man sich die Frage stellen, was ist das überhaupt für ein System, für das wir nicht relevant genug sind? Wollen wir überhaupt ein relevanter Teil dieses Systems sein?
Der Rückgang der Artenvielfalt ist nur ein Symptom eines viel größeren Ganzen. Da gibt’s noch Bodenversiegelung, Wüstenbildung, Plastik in der Nahrungskette, Trockenheit, usw...
Dazu gehört aber auch Ungerechtigkeit, die große Schere zwischen Arm und Reich, kriegerische Auseinandersetzungen, Ausbeutung, Vereinsamung... die Liste ließe sich noch lange weiterführen.
Es ist das große Ganze, das kaputt ist, das System. Ein System, das nicht mehr dazu dient, die Lebenssituation aller zu verbessern, sondern nur ein einziges Ziel kennt, das es ohne Rücksicht auf Verluste, auf Kosten von uns allen, verfolgt: die wundersame Geldvermehrung.
Es ist die Geschichte vom goldenen Kalb auf die Spitze getrieben.
In der Schöpfung ist alles voneinander abhängig, aufeinander angewiesen. Nichts und niemand kann für sich alleine stehen, ohne die anderen mitzubedenken. Deshalb werden sich die Probleme auch nicht so einfach lösen lassen, wie das Baumsterben in den 80er Jahren. Damals waren es Abgase der Fabriken, die die Bäume sterben ließen, leistungsfähige Filter haben das Problem gelöst. Das wird heute nicht mehr reichen. Das große Ganze muss sich ändern.
Da bin ich wieder bei Jesus. Denn er hat uns ganz viel an die Hand gegeben und gezeigt, wie es gehen könnte. Und wenn ich darüber ein bisschen nachdenke, dann hab ich das Gefühl, dass das doch gar nicht so kompliziert ist. Da schlägt bei mir der Berufsoptimist durch, oder der idealistische Träumer, wie auch immer. Aber offenbar sind die einfachsten Dinge manchmal die schwersten.
„1 Strebt nach der Liebe!“, schreibt Paulus. „Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet! 3 Wer aber prophetisch redet, der redet zu Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.“ (1 Kor 14)
Ich hoffe, wir schaffen es, einander Trost und Erbauung zu sein. Und vielleicht schaffen wir es ja auch, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren.