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Der barmherzige Vater

(Lukas 15, 11-32)

Wiedereinmal saß Jesus mit den Menschen zusammen. So, wie er es gern tat. Und dabei
achtete er nicht darauf, ob diese Menschen arm oder reich waren oder ob in ihrem Leben
schon viel schief gelaufen war. Nicht alle konnten das verstehen. „Wie kann Jesus nur mit
Menschen zusammen sein, die schon so viel falsch gemacht haben?“, dachten sie. Ohne
darüber nachzudenken, dass sie selbst auch nicht immer alles richtig machten.
Jesus wusste, was sie dachten und sagte: „Ich möchte euch eine Geschichte erzählen:
Diese Geschichte handelt von einem Mann. Dieser Mann hatte zwei Söhne, die er sehr
lieb hatte. Nennen wir sie Ruben und Benjamin.
Der Vater lebte sehr ruhig und zufrieden mit seinen Söhnen auf einem Hof. Sie wohnten
und arbeiteten zusammen. Es schien alles zu passen.
An einem schönen Sommermorgen saß der Vater nach dem Frühstück in der
Morgensonne. Noch war es nicht zu heiß, sondern angenehm warm. Er hatte die Augen
geschlossen und plante gerade in Gedanken seinen Tag. Da merkte er, dass jemand
einen Schatten auf ihn warf und öffnete die Augen. Sein jüngerer Sohn Benjamin stand vor
ihm und sah etwas betreten aus.
„Kann ich etwas für dich tun, mein Sohn?“, fragte der Vater. „Nein, also ja, also“, druckste
Benjamin herum. Sein Vater stand auf und sah ihm in die Augen: „Was ist los, Benjamin?“
Sein Sohn wich dem Augenkontakt aus und sah zu Boden. „Ich weiß, dass ich einmal die
Hälfte erben werde, wenn du stirbst“, begann er leise, „aber so lange will ich nicht warten.“
Benjamins Stimme wurde lauter. „Hier ist es so langweilig. Wenn nicht bald etwas
geschieht, dann sterbe ich vor Langeweile. Ich möchte raus, die Welt sehen. Ich möchte
etwas erleben! Jetzt, solange ich jung bin. Bitte gib mir meine Hälfte des Erbes jetzt schon,
damit ich von hier weg kann.“ Er blickte auf und sah seinen Vater an. Er sah den Schmerz
in dessen Augen. „Wenn du das möchtest, dann werde ich das tun“, antwortete sein Vater
sanft. „Ja, das möchte ich“, meinte Benjamin.
Am nächsten Tag sah der Vater zu, wie Benjamin packte, sich anzog und fröhlich pfeifend
davonzog, ohne sich auch nur einmal umzudrehen. Der Vater blickte ihm mit Tränen in
den Augen nach.
Jeden Morgen und Abend konnte man den Vater vor der Tür stehen und voller Sehnsucht
die Straße hinabschauen sehen. „Was stehst du da und schaust?“, fragte Ruben
manchmal etwas schroff. „Du wartest vergeblich. Der kommt nicht wieder. Der hat uns
längst vergessen.“ Aber der Vater wartete weiter.
Benjamin kam nach einiger Zeit in ein fremdes Land. Die Taschen voller Geld, voller
Neugier auf die Welt und ohne sich etwas Böses zu denken blieb er dort. Es sprach sich
schnell herum, dass er viel Geld hatte. Einige Menschen ließen sich gern von ihm einladen
und gaben vor seine Freunde zu sein. Glaubt ihr, dass das wirklich Freunde waren?
Jeden Tag feierten sie ausgelassen und ließen Benjamin zahlen.
Wie das aber ist, wenn man nur feiert und nichts arbeitet: dann ist das Geld irgendwann
aufgebraucht. Noch dazu brach in diesem Land eine Hungersnot aus. Jetzt stand er da,
ohne Geld.
Er ging zu seinen Freunden und bat: „Bitte helft mir. Ich habe nichts mehr!“ Seine Freunde
sahen ihn an und lachten ihn aus. „Wie, du hast nichts mehr? Das ist aber nicht unser
Problem. Verschwinde lieber schnell, wir wollen mit dir nichts mehr zu tun haben!“
Sie jagten ihn fort und da war er nun. Ohne Geld, ohne Freunde und ohne Arbeit. Ohne
Zuhause, aber mit Hunger.
Er wanderte umher und sucht nach Arbeit. Schließlich fand er Arbeit als Schweinehirte bei
einem Bauern.“
Jesu Zuhörer hielten den Atem an. Ausgerechnet Schweine! Die waren für Juden unrein.
Und auf die musste dieser arme Junge jetzt aufpassen. Obwohl – arm? - eigentlich war er
ja selbst schuld, oder? Jesus sah sie aufmerksam an und erzählte weiter: „Ja, es war
schlimm für ihn. Und er hatte großen Hunger. Am liebsten hätte er das Schweinefutter
gegessen. So hungrig war er. Aber das war ihm verboten worden!
So saß er im Dreck, hungrig und zerlumpt und sah den Schweinen zu, wie sie fraßen,
herumliefen und sich im Dreck wälzten. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken. „Die Arbeiter
meines Vaters, die haben immer genug zu Essen. Und saubere Kleider. Ich möchte nach
Hause gehen. Natürlich kann ich nach dieser Zeit nicht mehr sein Sohn sein, aber arbeiten
kann ich für ihn. Ich werde zu ihm sagen: „Vater, es tut mir leid. Ich bin es nicht wert dein
Sohn zu sein, aber bitte nimm mich als Arbeiter bei dir auf!“ Ja, so mach ich das.“
Und so machte Benjamin sich auf den Weg. Hungrig, zerlumpt und schmutzig.
Wieder stand der Vater vor der Tür und blickte die Straße hinunter. Immer noch voller
Sehnsucht im Herzen. Die Sonne begann schon unterzugehen, da sah er eine schmutzige
Gestalt, eingehüllt in Lumpen, die Straße herauf humpeln. Er schaute sehr angestrengt
und genau. Dieser Schritt, kannte er den nicht? Und diese Gestalt, naja, ein bisschen
dünner als früher, aber – konnte das sein? - war das Benjamin? Nein, das gab es nicht.
Aber doch, er kam immer näher. Das war ganz sicher Benjamin. Voller Freude raffte der
Vater seine Kleider und rannte dieser ärmlichen Gestalt entgegen. Könnt ihr euch das
vorstellen? Ein alter Mann vergisst ganz auf sein Alter und rennt wie ein kleiner Junge!
Als er die Gestalt erreichte, schloss er sie sofort in seine Arme. Benjamin konnte gar nichts
sagen. „Du bist zurück“, sagte der Vater unter Tränen. „Dass ich das erleben darf.“ -
„Vater“, begann Benjamin stockend. „Vater, ich habe es nicht mehr verdient dein Sohn zu
sein. Kann ich bei dir arbeiten?“ - „Was redest du da für einen Unsinn. Du bist mein Sohn.
Mein geliebter Sohn!“ Der Vater wandte sich um und rief seine Diener zu sich. „Schnell,
holt ihm das beste Gewand, einen Ring für seine Hand und neue Schuhe. Und bereitet ein
Festessen vor! Wir haben etwas zu feiern: Mein Sohn war tot, aber jetzt lebt er wieder! Er
war verloren und ist gefunden worden!“
Das wurde ein Fest. Bis weit in das Dorf hinein konnte man sie fröhlich feiern hören.
Nur einer fehlte. Ruben war nicht da. Er hörte die Feier natürlich auch von Weitem und
fragte einen der Knechte, was da los sei. „Dein Bruder ist wieder da! Und jetzt feiern wir
eine Willkommensparty!“
Als Ruben das hörte, da wurde er zornig und wollte nicht heimgehen. Dem Vater fiel
natürlich auf, dass Ruben fehlte. Er ging ihn suchen und fand ihn einsam in einer dunkeln
Ecke auf dem Hof. „Ruben, was machst du hier? Dein Bruder ist wieder da! Komm mit rein
und feier mit uns!“ forderte ihn sein Vater auf. Da funkelte Ruben seinen Vater wütend an:
„All die Jahre, so viele Jahre, war ich hier und habe gearbeitet. Ich habe dich nie
verlassen. Trotzdem hast du mich nie mit meinen Freunden feiern lassen. Aber kaum
kommt mein kleiner Herr Bruder heim, nachdem er sein ganzes Erbe verloren hat, da
schmeißt du eine riesen Party. Sag mir, warum sollte ich da mitfeiern wollen?“
Der Vater sah ihn traurig an und sprach dann sanft: „Hast du mich jemals gefragt, ob du
feiern kannst? Glaubst du, ich hätte „Nein“ gesagt? Immer warst du bei mir. Was mir
gehört, gehört auch dir. Sei nicht zornig. Dein Bruder war verloren, jetzt ist er wieder
gefunden, Er war tot, jetzt lebt er wieder. Das möchte ich feiern.“
Der Vater ging wieder hinein, aber er drehte sich nochmal um: „Wenn du soweit bist, dann
komm doch auch. Du fehlst uns da drinnen!““
Damit beendete Jesus seine Geschichte. „Meister“, fragte einer. „Ging der Bruder später
noch zur Feier.“ Jesus lächelte. „Das überlasse ich eurer Fantasie. Ging er rein? Oder
blieb er draußen?“
Ein anderer sagte: „Der Vater, der ist echt toll. So ein großes Herz hat der.“ - „Ja“,
erwiderte Jesus. „Er ist ein barmherziger Vater.“