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Corona - und die Antwort des Glaubens

Kleinraming, 29. März 2020

Pfarrer i. R. Friedrich Rößler

Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit, in einer einzigartigen, außergewöhnlichen Situation:

Die ganze Welt ist durch das Corona-Virus bedroht. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, in dem wir sicher wären. Und wenn wir in ein derzeit noch nicht vom Corona-Virus befallenes Gebiet fahren würden, könnte es sein, dass wir dieses Virus dorthin einführen.

Das Corona-Virus ist „unsichtbar“ und kann jeden treffen. Die von der WHO und von unserer Regierung empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen reduzieren deutlich das Risiko einer Ansteckung, die jedoch nie ganz ausgeschlossen werden kann.

Der Krankheitsverlauf ist – Gott sei Dank – bei den meisten Infizierten milde; die meisten werden wieder gesund. Aber die Zahl der Infizierten – und die Zahl der Toten – steigen. Der schwere Krankheitsverlauf und die Gefahr eines schnell eintretenden Todes sind eine große Belastung für die Betroffenen und deren Angehörigen.

Aufgrund der vom Staat angeordneten Vorsichtsmaßnahmen gerät die ganze Wirtschaft in Turbulenzen. Die ganze Welt wird „still gelegt“. Viele Firmen, Einrichtungen und Restaurants erleben massive finanzielle Einbußen. Die Zahl der Arbeitslosen schnellt nach oben. Für alle Betroffenen entstehen z. T. sehr große Probleme.

Der angeordnete Verbleib zuhause schenkt neue Möglichkeiten, Zeit für sich und für die Familie zu haben. Die Situation ist aber auch für viele eine Belastung, wenn „die Decke auf den Kopf fällt“ und die angeordnete dauerhafte Nähe Probleme schafft.

Der Entfall sämtlicher Veranstaltungen sowie aller bisher gepflegten sozialen Kontakte reduziert die Vielfalt und Fülle von Begegnungen, Zerstreuungen und Ablenkungen auf ein Minimum zuhause. Oberflächliche Antworten genügen nicht. Wir können den wesentlichen Fragen nicht mehr ausweichen.

Unsere Welt wird in ihren Grundfesten erschüttert. Das weit verbreitete Weltbild zerbricht:

Die Grenzenlosigkeit gibt es nicht mehr. Jeder konnte, sofern er das Geld dazu hatte, zu jeder Zeit nahezu an jeden Ort dieser Welt reisen. Urlaube und Kulturreisen in nahe und ferne Länder haben uns eine große Freiheit erleben lassen. Am Arbeitsmarkt gab es viele Möglichkeiten der Berufs- und Arbeitsplatzwahl. Die Freiheit der persönlichen Lebensgestaltung kannte viele Möglichkeiten. Es gab oft nur die Grenze der Zeit, weil längst nicht alle Pläne und Wünsche in einer kurzen Lebenszeit untergebracht werden konnten. Jetzt sind die Grenzen eng gesetzt – und wir wissen heute nicht, welche Grenzen uns künftig gesetzt werden. Für viele ist es eine harte Erfahrung: Es gibt kein grenzenloses Leben.

Der Mensch kann über alles in seinem Leben und in der Welt selbst verfügen – dies gilt jetzt nicht mehr. Plötzlich wird dem Menschen gezeigt, dass er doch nicht alles selbst planen, organisieren und durchführen kann. Wenn dem Menschen die Macht genommen ist (die er bisher auch nicht hatte): Was hat er jetzt noch? Wer bestimmt über sein Leben?

Es gibt keine Sicherheiten mehr. Ein „reality-check“ macht dies deutlich. Viele sind ent- täuscht: Es gibt keine Garantie für ein langes, gesundes Leben, für einen sicheren Arbeitsplatz, für eine immer florierende Wirtschaft, für ein stetig steigendes Wirtschaftswachstum und für eine freie Lebensgestaltung. Eigentlich gab es diese Garantie nie, aber jetzt wird diese Realität sichtbar. Das so entstehende Vakuum wird in dem Ruf, ja in dem Schrei, vieler Menschen nach Garantien durch die Verantwortungsträger in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft hörbar. „Die da oben“ sollen alles „richten“! Ja, es stimmt, sie haben eine große Verantwortung, aber sie können keine Garantie geben, dass „immer alles funktioniert“.

Nachdem absolut sicher scheinende Orientierungspunkte nun verloren sind, stellt sich die Frage: Worauf können wir uns jetzt noch verlassen? Was hat das Leben für einen Sinn?

Die Unsicherheiten rufen Ängste hervor – in verschiedener Richtung und in unterschiedlichem Ausmaß. Manche machen sich Sorgen um ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Angehörigen. Existentielle Unsicherheiten führen zu Existenzängsten. Viele haben Angst um ihre Gesundheit. Bei Schwerkranken kommen Todesängste auf.

Was will Gott uns in dieser Krise sagen?

Vieles werden wir nicht verstehen. Vorschnelle Antworten entsprechen nicht den tieferen Fragen. Die endgültigen Antworten hat Gott allein. Wir können mit unserem eingeschränkten menschlichen Horizont und Verstand oft den Sinn nicht erfassen oder erklären. Gott allein ist der Herr und hat den Überblick über mein Leben und über die Welt (Jesaja 55, 8 – 9). Aber einige grundsätzliche Aussagen über unser Leben und über unsere Welt finden wir in der Bibel, die uns in unserer gegenwärtigen Situation weiterhelfen und Klärung bringen:

Die Krise hat kein Eigenleben. Wir sind nicht einem blinden Schicksal ausgeliefert. Jesus ist der Herr der Krise. Unsere Welt und unser Leben liegen in Gottes Hand. Jesus spricht: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh. 16, 33). Im Vertrauen auf Jesus können wir alle Angst überwinden.

Nirgends in der Bibel ist uns eine Garantie auf ein komfortables, gesundes, sicheres und langes Leben verheißen. Unser Leben ist zerbrechlich, gefährdet, riskant, von vielen verschiedenen Faktoren abhängig und endet mit dem Tod. Aber in allen Unsicherheiten und in allen Lebenssituationen und bei jedem Zerbruch gelten die Verheißungen Gottes, die eine für uns erfahrbare Wirklichkeit werden, indem wir sie im Glauben empfangen:

So spricht Gott, der Herr: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, und wenn du durch Ströme gehst, sollen sie dich nicht ersäufen. Wenn du ins Feuer

gehst, wirst du nicht brennen, und die Flamme wird dich nicht versengen. Denn ich bin der Herr, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland“ (Jes. 43, 1 – 3).
Sicherheit gibt es nur bei Gott. Es kann nur das geschehen, was er zulässt. Alles hat seinen Sinn, auch wenn wir manches im Moment nicht verstehen. Manchmal sind wir mit unserer nackten Existenz allein auf Gott geworfen. Da können wir nur vertrauen, dass er immer einen Weg für uns hat. Seine Nähe und Hilfe hat er uns versprochen; das Wichtigste ist, dass wir in seiner Hand sind:

Jesus spricht: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen“ (Joh. 10, 27 – 28).
Mit dem Apostel Paulus können wir im Glauben bekennen und so die Geborgenheit in Gott erfahren in jeder Situation:

„Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm. 8, 38 - 39).

So erfährt Paulus die Unabhängigkeit von allen wechselnden äußeren Umständen und damit eine große Freiheit, in dem er ganz tief mit Jesus verbunden ist: „Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden, ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus“ (Phil. 4, 11 – 13).

In dieser Haltung haben wir nicht nur eine große Freiheit, sondern gewinnen wir auch eine tiefe Dankbarkeit, die so wichtig ist in unserem täglichen Leben und uns tief mit Gott verbindet, wie Paulus schreibt: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen!“ (1. Thess. 5, 18).

Die Gewissheit im Glauben enthebt uns nicht unserer Verantwortung. Beten wir darum, dass die Verantwortlichen in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft mit Sachverstand, Ruhe und Klarheit – unter der Führung des Heiligen Geistes – die Entscheidungen treffen und Maßnahmen setzen, die dem Wohl aller in unserem Land dienen. Indem wir Ja sagen zu der veränderten Situation, können und sollen wir aktiv unser Leben gestalten, kreativ nach Lösungen suchen – mit unserem Verstand und mit den Gaben und Möglichkeiten, die Gott uns gegeben hat.

In der gegenwärtigen Situation gibt es Menschen, die unsere Hilfe brauchen: Es gibt viele Gelegenheiten, die Liebe Gottes gerade jetzt weiterzugeben in Wort und Tat! Wenn wir jetzt uns nicht besuchen können, so lasst uns die Verbindung halten per E-Mail, in Briefen und Telefonaten! Lasst uns darauf achten, niemanden zu übersehen! Keiner soll allein gelassen werden! Wie schön ist es, glaubensstärkende und Hoffnung gebende Botschaften weiterzugeben! Und wenn einer praktische Hilfe und Unterstützung braucht, dann lasst uns auch dazu bereit sein! Beten wir für die Menschen, die in der gegenwärtigen Situation bis an die Grenzen ihrer Kraft einen großen Einsatz leisten!

Viele habe haben jetzt mehr Zeit als sonst. Nützen wir diese Zeit zur Einkehr und zur Umkehr! Mit Erich Fromm möchte ich es so ausdrücken: Was wir brauchen, ist nicht

„immer mehr haben“, sondern „immer mehr sein“. Wir haben zu viel – an materiellen Dingen, an Terminen, Aktivitäten, Zerstreuung, Ablenkung! Jetzt, da uns so viele Möglichkeiten genommen sind, ist es gut, darüber nachzudenken: Was brauche ich wirklich? Wie kann ich, indem ich das Vielerlei reduziere, die Konzentration auf das Wesentliche verstärken?

In der gegenwärtigen Reduktion unserer Möglichkeiten entsteht der Raum für Gedanken, die tiefer gehen - bis auf den Grund unseres Seins: Was trägt? Was hält? Was gibt meinem Leben Sinn und Ziel? Wer bin ich – ohne die gewohnten Aktivitäten – als Mensch vor Gott? Ich bin doch einer, der Gott gar nichts bringen kann, nicht einmal seine guten Taten, sondern ganz neu die Gnade Gottes entdecken und erfahren kann! Es tut gut, die Räume der Zerstreuung zu verlassen oder erst gar nicht betreten zu können, einmal keine Aktivitäten zu setzen und einfach zu sein und zu sagen: „HERR, da bin ich. Ich bin bereit, alles zu empfangen, was Du mir geben möchtest. Was ist Dein Wille für mein Leben? Ich will ihn tun.“

Außergewöhnliche Zeiten sind Gelegenheiten, einen neuen Anfang mit Gott und mit den Menschen zu setzen. Wir erleben eine sehr wertvolle Zeit. Gott will uns zu jeder Zeit etwas Besonderes sagen. Gerade jetzt können wir der Stille mehr Raum geben, dem Hören auf Gott in Seinem Wort und dem Gebet. Und jetzt ist auch die Gelegenheit, einmal einen Brief zu schreiben an Menschen, mit denen der Kontakt abgerissen ist oder der Weg zur Versöhnung eigentlich schon lange fällig wäre.

Wir haben die Chance, die Veränderung durch Gott zu erfahren und als veränderte Menschen aus der Krise heraus und in eine Welt hinein zu gehen, die anders sein wird als die bisherige Welt. Bei allem, was in dieser Welt kommt und geht, hält Gott uns die Treue.

„Das Letzte“ ist unsere Ewigkeit bei Gott. Dort gibt es kein Leid, keine Krankheit und keinen Tod mehr (Offbg. 21, 4). Die Freude, die wir dann erleben werden, wird ungetrübt und unermesslich sein. Dies ist unser Ziel. Lasst uns im Licht der Ewigkeit unser Leben führen und im Vertrauen auf Gott unseren Weg getrost und zuversichtlich weitergehen!